1
Ich habe Chorin als Startpunkt gewählt, weil das für mich am besten mit der Regionalbahn erreichbar ist. Pünktlich zum Sonnenaufgang bin ich am Kloster. Dafür sehr früh aufgestanden zu sein, wird an der ganzen Reise das Leichteste sein. Ich starte also mit Abschnitt 13. Dieser präsentierte schönste Natur und bietet reichlich Kopfsteinpflaster, um die Vorzüge eines Mountainbikes zu genießen. Abschnitt 14 muss ich schieben. Ich liebe Bike&Hike, aber mit Gepäck ist das kein Spaziergang. Der Sinn dieser Tortur erschließt sich mir ganz plötzlich als ich vorm Gipfelkreuz stehe – der Watzmann – Brandenburg, deine Berge! Ich rechne kurz durch, wie viele Wochen ich für den OMBU brauche, wenn ich in dem Tempo weitermache. Abschnitt 15 wurde wohl zur Wiedergutmachung eingebaut. Das rollert schön und geschwind hat man ein paar Kilometerchen auf der Uhr. In Neu Hardenberg gönne ich mir für 20 Euro ein Fertigessen und einen Pappbecher Kaffee am Schloss. 500 Meter weiter wäre „Ali’s Imbiss“ gewesen. Abschnitt 16 im Sonnenschein: schöne Wiesenwege, Spaziergänger, die milde lächeln, als ich mein Rad über einen mächtigen Baumstamm hieve, um es zum Aussichtspunkt hochzuschieben. Am Checkpoint Buckow steppt der Bär. Wo kommen denn die ganzen Menschen her? (Berlin, Feiertag). Auf Abschnitt 17 denke ich, dass ich ewig so weiterfahren könnte. Ich schreibe Nic eine SMS – muss ja noch mein Starterpaket abholen. Er kommt mir auf Abschnitt 18 entgegen, eine schöne Überraschung und wir fahren zusammen zum Nullpunkt, dem Eisernen Denkmal. Jetzt hab ich 4 Trinkflaschen, was mir mentale Sicherheit gibt. Weiter geht es auf Abschnitt 1, jetzt nur noch auf der Suche nach einem Schlafplatz. Bald schaukelt meine Hängematte im Sonnenuntergang mit Seeblick. Ein Blick in den Wetterbericht stellt in Aussicht, dass ich es schaffen werde, vor dem Regen einzupacken.

2
Aufgewacht, es ist hell, also muss ich geschlafen haben. Alles trocken eingepackt. Ein paar Reste gefuttert, voller Vorfreude auf ein vernünftiges Frühstück im Edeka von Lebus. Während ich am Navi herumfingere, fängt es an zu nieseln. Die Regensachen habe ich schon bereitgelegt, aber vielleicht reicht erstmal die Jacke? Nein, es fängt an zu schütten, also müssen an der nächsten Bushaltestelle auch noch die Regenhosen und Überschuhe drüber. Jetzt wird es richtig matschig. Mein armes Rad. Jeder Meter muss hart erkämpft werden, bloß nicht auf den Tacho gucken. Für die 30 km bis Lebus brauche ich 3 Stunden. Aber hat einer schon so schöne Biberbauwerke gesehen? Erwähnenswert sind auch die vielen Obstalleen, die blühen und duften. Wie die Matschfee schlurfe ich durch den Supermarkt und gönne mir ein paar pinke Gummihandschuhe. Von den blühenden Oderbergen auf Abschnitt 2 mache ich kein Foto, denn ich habe keine Lust mehr, das Handy aus den Regenjacke zu fummeln. Die Blümchen sind aber sehr schön. Wer Pferde liebt, wird auch Gefallen an den Reitwegen am Ende des Abschnitts finden. Zum Glück regnet es, sonst wären die ziemlich sandig. Und es regnet auch auf Abschnitt 3. Ich muss jetzt mal ins Trockene, um Kalorien einzuwerfen. Mit den Gummihandschuhen kriege ich die Schokoriegel nicht auf. Pause machen ist aber auch keine Option, denn stehend ist es zu kalt. Endlich 15 Uhr hört es auf zu regnen. Ich sehe für mich 2 Optionen: auf der Stelle tot umfallen oder trockenreiben. Ich entscheide mich dafür, letzteres zu versuchen, zumindest obenrum. Der Routengott schenkt mir 8 km Asphalt, die fast ausreichen, um die Regenjacke im Fahrtwind zu trocknen. Dann geht es auf den schönen Schlaubetalwanderweg und mir wird für eine Weile warm von der Doppelbelastung, mich auf die Idylle und die rutschigen Wurzeln gleichermaßen zu konzentrieren. Die Sonne kommt raus. Die Überschuhe können weg, aber natürlich sind Schuhe und Wollsocken klatschnass. Wie es unter der Regenhose aussieht, möchte ich gar nicht wissen. Es ziehen wieder dicke Wolken und Wind auf. Die nächste Hütte ist winddicht und geräumig. Ich beschließe zu bleiben, um mein Wunschdenken auf die Trocknung meiner Sachen zu konzentrieren. Als draußen wieder die Sonne scheint, liege ich schon im Schlafsack. Die Temperatur klettert kopfüber gegen Null, denn der Himmel ist nun wolkenlos.

3
Ich habe mir den Wecker auf 5 Uhr gestellt. Es sind drei Grad, meine Sachen sind mehr nass als gestern Abend. Auch mein Schlafsack ist feucht. Zu nah am Wasser geparkt. Anziehen ist aber alternativlos, außer bei den Schuhen, denn barfuß wäre es auch nicht kälter, als in den nassen Dingern. Weiter auf Abschnitt 3 – man möchte wandern, die schönen kleinen Pfade immer am Ufer von irgendwas. Endlich aus dem Tal raus gibt es feines Morgenlicht. Noch ein paar Waldwege rauf und runter zum Warmwerden, dann ist Kobbeln erreicht. Direkt nach dem Checkpoint gibt es ein ungutes Geräusch. Positiv gesehen: ich stehe in der Sonne und habe gerade aufgehört zu frieren. Die Scheibenbremse ist zu. Nach der Schlammschlacht gestern wundert mich eigentlich nix. Dass die Bremsbeläge hinten aber einfach weg sind, hätte man auch vor der Fahrt prüfen können. Ein polnischer Radwanderer hält an, fragt, ob ich pomoc brauche – No, thanks, my breaks are broken, no problem, everything okay. Also: Bremsbeläge von vorn nach hinten, Vorderbremse außer Betrieb gesetzt. Bei der Gelegenheit auch gleich noch alles geputzt (Zahnbürste fürs Rad geopfert, weil die Putzlappen nass sind) und getan, was ich mir schon die ganze Zeit überlegt habe: ich lasse Luft ab. Ist halt doch kein Straßenrennen. Dafür rollt es jetzt zügig in Richtung Netto-Frühstück in Neuzelle. Dann der Oder/Neiße-Radweg, ich liebe den, es könnte von mir aus 500 km so weiter gehen, was es nicht tut. Abschnitt 5 ist eine schöne Mischung aus Wald und Wiesen und am Ende rollt der Routengott dieses schöne graue Band aus. Feinste Radwege, sehr guter Zustand, wenig benutzt, wie neu. Ich geb mir Mühe, dass mit der angebrachten Geschwindigkeit zu honorieren. Abschnitt 6 ist eine Folge von Badestellen und Campingplätzen. Wie viele riesige Seen gibt es denn hier? Muss ich mal im Sommer kommen.
Abschnitt 7 ist sehr kurz, und führt mich in mein Zielgebiet. Als Freund des Crosstriathlons zieht mich Kossenblatt auf Abschnitt 8 magisch an. Also biwakiere ich heute auf dem Wasserwanderrastplatz. Da die Strippen von meiner Hängematte zu kurz oder die Bäume auf dem Rastplatz zu dick sind, lege ich mich unter den Tisch im Picknick-Rondell. Um morgens nicht wieder nasse Sachen vorzufinden, ziehe ich einfach alle an. Die erste Nacht, in der mir wirklich warm ist. Mein inzwischen erworbenes Odeur hält die wilden Tiere ab.

4
Wecker klingelt um 5, um den Tag wieder mit der leichtesten Übung zu starten: Aufstehen. Ich habe grob überschlagen, dass es noch 170 km sind. Das entspricht der längsten Strecke, die ich bislang auf der Straße zurückgelegt habe. Ich verkneife mir weiteres Nachdenken, ich habe noch zwei Tage Zeit. Packen geht schnell und so rollert das Pony 6 Uhr los. Der Rest von Abschnitt 8 ist leicht und mir von der Anreise zum Triathlon bekannt. Abschnitt 9 begeistert wieder mit Trails im Wald. Schieben, Tragen, Treppen – mir doch egal. Da meine Uhr schon seit Tag 1 aus ist (Kabel vergessen), bin ich zeitlos unterwegs in meinem Tempo. Abschnitt 10: wieder ein schöner wurzeliger Uferweg, Spaziergänger gucken belustigt. Es ist 12 Uhr. Vor mir liegen noch 80 km. Auf Abschnitt 11 gibt es Forstarbeiten, die Wege sind zerfahren, ich nehme es gelassen. Bin ja im Urlaub und habe im letzten Supermarkt reichlich Proviant eingeladen. Unausweichlich nähert sich der nächste Checkpoint und damit der letzte Abschnitt 12. Der längste Abschnitt, 50 km, soviel weiß ich. Von der Beschaffenheit lasse ich mich überraschen. Und es ist nochmal viel Schönes dabei: Badestellen, Ufertrails, Waldwege, Forstarbeiten, Kopfsteinpflaster, der Damm vom Oder-Havel-Kanal, Matschwiesen, Osterlämmer, Tümpel, die nur noch auf dem Navi existieren und am Ende eine Abfahrt zum Kloster Chorin, wo ich mit halber Bremskraft fast am Wildzaun verende. Dann habe ich es geschafft.